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Die letzten Monate waren geopolitisch derart „disruptiv“, dass ich mich entschieden habe, wieder zu politischen Themen zu bloggen.

Mit der Wahl und erst recht mit der Amtsübernahme am 20. Januar 2025 sind verschiedene Erdbeben losgetreten worden, die über kurz oder lang als tektonische Verschiebungen betrachtet werden können. Doch wie bei allen Erdbeben gibt es Vorbeben, die erste Spannungen lösen, welche sich über längere Zeit aufgebaut haben.

Ich sehe aktuell drei Hauptspannungsfelder, in denen es bereits zu Beben gekommen ist oder noch kommen wird. Auf das erste gehe ich in diesem Blog ein, die beiden nächsten folgen bald.

Reich gegen Arm

Neben dem „Fall der Mauer“, sprich dem Zerfall der sozialistischen Regime in Osteuropa, betrachte ich die Finanzkrise als eine der weitreichendsten Zäsuren der letzten 50 Jahre. Von 1990 bis 2007 lebten wir in den optimistischen 90er-Jahren (meine Jugendzeit). Der Kalte Krieg war beendet, wir glaubten mit Francis Fukuyama, das „Ende der Geschichte“ sei erreicht und die liberale Gesellschaft werde fortan für Frieden und Wohlstand sorgen.

Dieser Traum wurde 2001 mit den Anschlägen auf die Twin Towers in New York erstmals erschüttert. Doch die eigentliche Zeitenwende war die Finanzkrise von 2007–2008 (die Anfang 2009 faktisch vorüber war, was die Börsen antizipiert hatten). Mit dieser Krise begann der langsame Verfall des Ansehens von Führungspersönlichkeiten in Wirtschaft und Politik.

In der „Great Financial Crisis“ (GFC) versagten derart viele hochdekorierte und hochgeachtete „Persönlichkeiten“, dass dem gewöhnlichen Volk klar wurde: Viele Menschen besetzen ihre Posten nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten. Die Welt war von der New Yorker Wall Street derart „finanzialisiert“ worden, dass die Banker amerikanischer Prägung tatsächlich glaubten, sie seien die „Masters of the Universe“. Diese Haltung, gepaart mit massivem Politikversagen in den USA, führte zu derart abstrusen Auswüchsen im Finanzsystem, dass nach der Rettung des Systems durch den Staat vielen Bürgern klar war: Sie waren abgehängt worden.

Die „Manager-Kaste“ war geboren – und wurde zum Feindbild des einfachen Arbeiters. In der Folge wurde in der Schweiz etwa die „Abzocker-Initiative“ angenommen. Während die Börsen sich nach der GFC relativ schnell erholten, wurde die Eurokrise von der Europäischen Zentralbank nicht an der Wurzel gepackt, sondern mit Geld zugedeckt. In den USA wurden fortan sämtliche rezessiven Tendenzen durch eine Ausweitung der Geldmenge (den Kauf von Staatsobligationen durch die Notenbank) bekämpft. Es durfte nur einen Weg geben: den nach oben.

Diejenigen, die bereits hatten, profitierten von steigenden Börsenkursen. Die anderen hatten das Nachsehen. Immer mehr Menschen im Westen realisierten, dass es nicht mehr zwangsläufig „nach oben“ gehen würde. Es gab diejenigen, die das „Glück der frühen Geburt“ hatten – und diejenigen, die dieses Glück vermissten.

Der gesamte Westen befand sich nach 2008 geldpolitisch permanent im Krisenmodus. Immer mehr Geld wurde ins System gepumpt, weil man die Bevölkerung – auch auf Geheiss der Politik – vor sämtlicher Unbill bewahren wollte. Das trieb die Börsen in immer luftigere Höhen, die Zinsen sanken kontinuierlich, und es gab bald keine Alternative mehr zu Aktien. Geld war derart reichlich vorhanden, dass sein Preis negativ wurde. So versuchten die Geldpolitiker, den Aufschwung herbeizuführen – selbst dann noch, als er längst eingetreten war.

Die Notenbanken hatten sich in eine Ecke manövriert, aus der sie nicht mehr herausfanden. In der Schweiz stiegen die Immobilienpreise – nicht zuletzt wegen der tiefen und negativen Zinsen – massiv an. Die Kluft zwischen den „Habenden“ und den „Nicht-Habenden“ wuchs weiter. Die Resultate von Volksabstimmungen wurden zunehmend wirtschaftsfeindlicher, doch die Schweiz bewahrte vorerst ihren pragmatischen, vernunftgetriebenen Kurs.

Dann folgten zwei Brandbeschleuniger, die den Keil in die Gesellschaft noch tiefer trieben.

Die Corona-Pandemie zeigte, dass der Staat allmächtig ist – und uns allen helfen kann, wenn er es denn will. Viele Menschen begannen während des Lockdowns zu grübeln.

Das Tüpfelchen auf dem i war schliesslich der Untergang der Credit Suisse im Jahr 2023. Wieder einmal versagten etliche hochbezahlte Persönlichkeiten auf ganzer Linie. Die Wut auf das Establishment in der Schweiz war selten so gross.

So kam es, dass im Frühling 2024 die Initiative für eine 13. AHV-Rente vom Volk angenommen wurde. Der Bann war gebrochen. Die „Nun-sind-wir-auch-einmal-an-der-Reihe“-Fraktion kannte keine Grenzen und stimmte dem völlig verantwortungslosen Ansinnen zu – obwohl die AHV bereits defizitär ist. Der Egoismus hatte an der Urne über finanzpolitische Vernunft und den „Generationenvertrag“ gesiegt.

Im selben Jahr las ich in einem Bericht erstmals den Begriff des „strukturellen Egoismus“.

Was am Konflikt „Reich gegen Arm“ bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass sich selbst Millionäre als „arm“ fühlen – und meinen, ihnen stehe noch etwas zu.

Viele aktuelle Phänomene lassen sich meines Erachtens mit dieser Abstiegsangst erklären:

  • Der zunehmende Egoismus in der Gesellschaft („ich, ich, ich, jetzt“).
  • Der Drang, ans Gymnasium zu gelangen, und die fortschreitende Akademisierung.
  • Das zügellose Austeilen auf Social Media.

Die Menschen sind unzufrieden, verzweifelt, gereizt – und wütend auf das Establishment. In der Schweiz, aber auch in grossen Teilen der Welt, die vor allem verlieren kann, weil es ihr zu gut geht.

Dieser Wohlstand führt schleichend zu einer Werterosion in der Gesellschaft.

Das Gefühl des „aussichtslosen Abgehängtwerdens“ ist auch der Grund für das zweite Spannungsfeld, das ich als Nächstes beschreiben werde.

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